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Siebter „Health Circle“ der Initiative Gesundheitswirtschaft:
"Medizinkultur in Deutschland - sind wir auf dem richtigen Weg?"

Potsdam, 19.03.2015
7. Health Circle PotsdamUnter dem Titel „Medizinkultur in Deutschland – sind wir auf dem richtigen Weg?“ hat in Potsdam kürzlich der siebte „Health Circle“ der Initiative Gesundheitswirtschaft Brandenburg e.V. (IGW-BB) stattgefunden. Vor rund 50 Zuhörern moderierte Elimar Brandt, Vorstandsvorsitzender der PflegeZukunfts-Initiative e.V. den Abend im Kutschstall-Ensemble.

Frau Prof. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D., stellte eingangs die Frage „Wo liegen wir richtig und wo haben wir eine Schieflage?“. Rita Süssmuth erinnerte an die Verbreitung des AIDS-Virus in den 1980er-Jahren und die damit einhergehende Hilflosigkeit von Politik und Gesellschaft. Der gesellschaftliche Umgang mit dieser Krankheit wurde zu Anfang dem Polizei- und Seuchengesetz zugeordnet. Die Angst und Panik vor Ansteckung war groß.

„Was habe ich selbst für ein Menschenbild“?, schien eine zentrale Frage zu sein. Laut Süssmuth gelang es, die Stimmung in Deutschland umzuwandeln: Menschen müssen geschützt und Krankheiten bekämpft werden – und „dass Menschen verantwortlich handeln und nicht ausschließlich sich selbst im Sinn haben“. Süssmuth übertrug die damalige Herausforderung auf die Situation der „austherapierten Krebspatienten“ heute. Nur an „austherapierten“ Patienten dürfe überhaupt etwas Neues „probiert“ werden. „Warum nehmen wir alternative Methoden nicht mehr zur Kenntnis?“ Dies sei nicht als Angriff auf die Schulmedizin zu sehen, sondern wünschenswert sei vielmehr eine Integration des Wissens anderer Kulturen und Methoden. „Warum schaffen wir nicht in Deutschland eine Einrichtung, die diesen Kulturen und Erkenntnissen Rechnung trägt?“. Das Motto sei Kooperation statt Konfrontation. „Wir können uns die Medizin immer weniger leisten, weil die Möglichkeiten exponentiell ansteigen“, konstatierte Prof. Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité. Das Solidarsystem und die Gesellschaft seien immer weniger in der Lage, die Kosten zu finanzieren. Die entscheidende Frage laut Einhäupl: Was müssen und was sollen wir finanzieren? Es gebe vieles, das mehr schade als nutze. Die daraus zu ziehende Forderung sei, den Patienten das zu bieten, was am besten helfe. In diesem Kontext gebe es eine starke Entwicklung hin zur evidenzbasierten Medizin, nach dem Motto: „Pluralität: Ja, Beliebigkeit: Nein.“ Auf Einhäupls Frage, welche Kriterien wir heranziehen, so dass wir die Finanzierbarkeit für die Allgemeinheit aufrechterhalten oder nicht, hielt Elimar Brandt entgehen, dass laut Studien die Menschen mittlerweile mehr Geld für alternative Medizin ausgeben als die Krankenkassen für die Schulmedizin finanzierten.


Prof. Peter Heusser, Inhaber des Lehrstuhls für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin und Leiter des Zentrums für Integrative Medizin der Universität Witten-Herdecke, stellte in der Diskussion der evidenzbasierten Medizin die medizinbasierte Evidenz gegenüber. Das zentrale Medizinverständnis müsse die Fragen nach dem Menschen und seinen Bedürfnissen aufgreifen. Bei einer Umfrage zum Thema „Welche Medizin wollen die Menschen in der Zukunft?“ haben 69 Prozent der Befragten „Menschlichkeit“ genannt, 58 Prozent „mehr Komplementärmedizin“, 27 Prozent „mehr Hausarztmedizin“ und nur 21 Prozent „mehr Spitzenmedizin“ geantwortet. Patienten wollten als ganze Menschen mit einem eigenständigen Geist verstanden werden, bei chronischen Krankheiten mehr Optionen erhalten und vor allem mehr Selbstaktivität zugesprochen bekommen. „Wir müssen lernen, neue wissenschaftliche Fragen zu stellen, wie man Menschen besser verstehen kann.“ Bei chronischen Krankheiten müsse man entsprechend auch soziale und biografische Elemente miteinbeziehen. Elimar Brandt warf die Frage auf, warum Hightech-Medizin nicht menschlich sein könne.

Für Rita Süssmuth gab es hier keinen Gegensatz, sie ergänzre, dass sich die Menschen jedoch als ahnungslose Abhängige des Systems fühlten. „Wir unterschätzen das Nachdenken und Wissen bei den Bürgerinnen und Bürgern.“ Süssmuth wies auch auf die Debatte eines neuen Präventionsgesetzes, zuletzt im März im Bundestag, hin. Bemühungen in diese Richtung seien bisher leider gescheitert.

Prof. Heusser forderte u.a. mehr Partizipation von allen Stakeholdern. Es sollte einen Think Tank für die Stakeholder des Medizinsystems geben, in dem eine gemeinsame Grundrichtung entwickelt werde. Die heutigen DRGs „zerquetschten“ die Medizin. Über die Rolle der Finanzen müsse unter Einbeziehung gesellschaftlicher Fragen und Bedürfnisse neu nachgedacht werden. Prävention und Salutogenese („Gesundheitsentstehung“) müssten mehr Gewicht bekommen.

Prof. Einhäupl wies darauf hin, dass die DRGs eingeführt wurden, um die Kostenexplosion im Gesundheitssystem einzudämmen. Die Tatsache, dass die Menschen heute gesünder älter werden, sei ein Erfolg der Medizin. Eine der großen Herausforderungen sei es in der Zukunft, Innovationen auf ihr Kosten-/Leistungsverhältnis genau zu überprüfen. Viele Innovationen seien, auch im Verhältnis zu ihrer relativ größeren Wirksamkeit als traditionelle Therapieverfahren, unverhältnismäßig teuer und würden die Solidargemeinschaft stark belasten. Prävention befürwortet Einhäupl ebenfalls, sprach aber auch auf die enormen Kosten an: „Dadurch werden keine Gesundheitskosten gespart.“

Weitere Informationen zur Initiative Gesundheitswirtschaft Brandenburg unter www.igw-bb.de


PDFPressinformation vom 19.03.2015 





 




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